Die AZ hat mitgemacht und gelernt, wie man mitredet - und dass ein guter Roter nach Knete und Heftpflaster duften darf
Von Anne Kathrin Koophamel
Spucken. Der weiße Plastikbecher, aus dem einige eben noch Wasser getrunken haben, ist ein Mülleimer. Schlimmer noch: Für Wein.
"Bitte spucken Sie, sonst stehen Sie die 16 Weine heute nicht durch", sagt Bernhard Meßmer. Der Erste verzieht den Mund, schiebt den Wein noch einmal von links nach rechts und lässt widerwillig ein paar Tropfen in den Becher fallen. "Schad' drum." 16 Leute, 16 Flaschen Wein, ein Ziel: Am Ende des Tages wollen wir nicht mehr nur nicken, wenn andere vom "Pfefferl im Riesling" oder dem "typischen Barrique-Ausbau" schwärmen, wir wollen selbst Wein beurteilen.
Bernhard Meßmer von der Weinschule "Einfach genießen" soll dabei helfen. Es ist zehn Uhr morgens an diesem Adventssonntag. Zeit für Geständnisse.
Peinlich: Der Wein korkt - und alle trinken weiter. Keiner merkt's Beim Geschäftsessen habe er sich so blamiert, weil man einen korkenden Wein weiter getrunken habe, sagt ein junger Mann. Der Vater schwärme immer vom Barolo, und ihr selbst schmecke der gar nicht, sagt eine Frau. Ein anderer kauft immer den gleichen Wein, den mit Tierköpfen auf dem Etikett - "ich hab doch keine Ahnung". Meßmer lächelt und schenkt ein.
Vor sieben Jahren hat er "Einfach genießen" in der Pestalozzistraße gegründet. Wein ist für ihn keine Kunst, sondern eine Selbstverständlichkeit. "Ich habe das Wissen quasi in die Wiege gelegt bekommen", sagt er. Seine Familie baut in der Pfalz Wein an. "Als Kind habe ich mit den Auszeichnungen gespielt und im Sommer mein Taschengeld im Weinberg aufgebessert." Wie billiger Fusel schmeckt, habe er lange nicht gewusst. Jetzt versucht er, Münchner auf ihrer Suche nach gutem Wein zu helfen.
Gerade suchen seine Teilnehmer die Kokosnuss: Die soll sich nämlich in dem Bouquet des Sauvignons verstecken, hat eine Teilnehmerin vorgeschlagen. Stachelbeere riechen die meisten, Honig, Birne, sogar die Vanille, als Meßmer uns darauf aufmerk- sam macht - doch keine Spur von der Kokosnuss. "Schiefer, ich rieche Schiefer", sagt eine Frau. Den hat sie zwar schon beim Riesling gerochen, aber Schiefer ist immerhin so ausgefallen, dass die Nasen erneut in die Gläser tauchen.
"Die meisten Teilnehmer wollen einen schönen Abend haben", sagt Meßmer. Erst wollte er das nicht wahrhaben - und lieber tiefes Weinwissen vermitteln. "Doch die Leute wollen die Lakritze erriechen und nicht wissen, wie der Geruch genau ins Glas kommt." Ein bisschen erzählt er trotzdem über Barrique und Korken, über Spontanvergärung und Hefen und davon, dass teuerste Rotweine manchmal nach Knete und Heftpflaster duften. "Ganz und gar geht es ums Riechen. Talent brauchen Sie so gut wie keines. Nur Übung."
Und einige Fakten: Wie entsteht Wein? Beim Wein-Monopoly sollen wir neun Kärtchen in die richtige Reihenfolge bringen. Klar: Erst wird geern-tet, selektiert und entrappt. Und dann? Wird erst gegärt oder gepresst? Was ist Cuvetieren? über die Malolaktische Gärung denken wir gar nicht nach, die kommt auf das letzte freie Feld. Das Ergebnis: drei Gruppen haben Weißwein gekeltert, wir als einzige Rotwein.
über 200 Seminare gibt Meßmer pro Jahr, ein Grundkurs kostet 60 Euro, weniger als ein Pralinenkurs - die Konkurrenz in München ist groß. Neben "Einfach genießen" bieten VinVino, Viniversita oder Aquitaine Vinothèque, ebenso das Café Ruffini und die meisten Weinhandlungen Grundlagen- und Spezialklassen wie "Käse und Wein" oder "Sensorik" an: Welche Rebsorten gibt es, was ist überhaupt Wein, wie probiere ich ihn richtig? "Wein ist ein Teil der Allgemeinbildung geworden, jeder kommt damit in Berührung", sagt Meßmer. "früher gab es Tupperpartys, heute Weinseminare."
Der Frauenanteil bei ihm ist hoch, weil über die Hälfte ihrem Mann einen Gutschein fürs Seminar geschenkt haben und selbst mitkommen. Unsere Gruppe ist durchmischt, viele Paare, ein paar Singles, Ende 20 bis Anfang 60.
Die Gläser sind wieder gefüllt, wir nähern uns und zucken schon einem Zentimeter vor dem Rand zurück. Eine Duftbombe! Stolz macht sich breit: Nach nur drei Weinen können wir am Geruch erkennen, dass dieser Wein besonders ist. Wir riechen einen gan-zen Obstgarten: Apfel, Birne, Citrus, Gras und Honig und Faustregel für Laien: Je komplexer der Duft, desto besser der Wein können gar nicht mehr aufhören, mit Fruchtnamen um uns zu schmeißen. "Je komplexer, desto besser", sagt Meßmer - eine Faustregel, die beim Kosten hilft. "Ich kann Ihnen nicht sagen, was Ihnen gut schmeckt und was nicht."
Jeder schmecke anders, und in jeder Situation sei ein Wein besonders: "Sie haben sicher schon mal aus dem Urlaub eine Flasche mitgenommen und zu Hause, so ohne Strand und Sonnenuntergang, war er gar nicht mehr so Spitze." Er könne nur an die Hand geben, ob die Qualität eines Weines so gut sei, dass ein höherer Preis gerechtfertigt ist.
Der Weinseminar-Boom steigt gleichzeitig mit dem Hype um deutsche Weine. Denn Wein, der aus Regionen kommt, die der Käufer kenne, "dafür interessiert man sich". Meßmer selbst vergleicht Münchens Weinschulen gerne mit Schuhbecks Gewürzläden: Erst gab es einen, die Leute kamen auf den Ge- schmack, heute bietet fast jeder Laden Kräutermischungen und Pfefferkompositionen an - und jede Weinhandlung eben Seminare. Mit den Gewürzen hat Wein noch eines gemeinsam: Beides beruht auf Genuss.
Maracuja haben wir im Glas entdeckt, Honig und sogar "etwas Grünes", das sich als Stachelbeere herausgestellt hat - wir sind gut. "Diese Aufgabe ist schwer, aber kosten Sie mal diese Weine", sagt Meßmer und schenkt zwei Rote ein. Wie vergleichen die Farben - vor dem Tischtuch, nicht in der Luft; beide sind rubinrot. Wir riechen, schieben den Wein um die Zunge und kommen zu dem Schluss: Der im linken Glas schmeckt runder. Meßmer zieht die Flaschen wie Kaninchen aus den Zylindern. "Es ist der gleiche Wein", sagt er. "Nur der rechte hat Zimmertemperatur, der linke 18 Grad. Sie mögen fast alle kühlen Rotwein lieber. Bringen Sie das mal bei der nächsten Party an - und Sie klingen wie ein Weinexperte."
Mehr Infos zur Weinschule unter
089-89 04 38 60 oder www.einfachgeniessen.de