Starker Abgang
In der Weinschule „einfach geniessen“
lernt man, edle Tropfen richtig zu
verkosten – und manche gar zu lieben
Der Wein begleitet Bernhard Meßmer, Chef der Münchner Weinschule „einfach geniessen“ bereits sein ganzes
Leben lang. Aufgewachsen auf dem elterlichen Weingut in der Pfalz, das inzwischen zu den besten Deutschlands gehört, lernte er
alles rund um Anbau und Veredelung hautnah kennen. Ein Vollprofi also, der sogar, wie er in bescheidenem Tonfall erzählt, nach bestandener Prüfung am Wine and Spirit Education Trust (WSET) in London nun offiziell den Titel „Weinakademiker“ tragen darf.
Die Weinexperten von morgen, es sind neunzehn,nehmen Platz und – Überraschung! –hier handelt es sich nicht um eine Altherrenveranstaltung, das durchschnittliche Alter der Tester und Testerinnen liegt so zwischen 30 und 35. Vor mir stehen zwei Gläser, jeweils mit einem Schlückchen Weißwein, die gegeneinander antreten sollen. Bernhard MeßmersFrage: „Welcher Wein schmeckt besser?“ Das Prozedere: „Wir testen immer von links nach rechts.“ Das gilt auch für die folgenden Weinpaare. Die Aufgaben: „Achten Sie auf die Süße, achten Sie auf die Säure.“ Meßmer deutet auf eine Zungendarstellung an der Wand, dort sind
die Geschmacksregionen verortet. Säure beispielsweise, das ist für mich als Rieslingfan wichtig, wird an den Zungenrändern wahrgenommen. Und los geht’s: das linke Glas. Mein Urteil: trocken! Ist das alles? „Je mehr Nuancen man erschmecken kann, desto höher ist die Qualität“, sagt Meßmer. Ein zweiter, sehr konzentrierter Versuch. Vorher wird das Glas kurz geschwenkt. Ich nehme Witterung auf, die nächsten Tröpfchen folgen. Oh, jaah, ich schmecke Apfel, vielleicht auch Blüten. Schnell ein Stückchen Brot zermalmt und schon ist das rechte Glas dran: ein Flash! Die Zungenränder prickeln und mir entfährt, einem Weinschul-streber gleich: „Ein Riesling, hohe Säure, Zitrusfrüchte.“ Mein Nachbar sekundiert: „Ein Hauch von Heu. Welcher ist besser?
Ich sage: „Rechts.“ Der Weinakademiker erklärt lässig: „Egal, Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.“ Und lüftet das Geheimnis: Links war ein trockener Weißwein aus Venetien im Glas, rechts ein Pfälzer Riesling. Ich empfinde tief in meinem Inneren so etwas wie ein Erfolgserlebnis. Die Stimmung der Teilnehmer steigt (liegt das am Alkohol?). Plötzlich unterhalten sich alle angeregt über Wein. In der nächsten Runde tritt die Trendrebsorte aus Neuseeland, ein Sauvignon Blanc, gegen Chardonnay
aus dem Burgund an. Die Schüler schmecken immer differenzierter und urteilen immer verwegener. Im Sauvignon werden Litschi,
Holunderblüte, aber auch Spargelwasser geortet. Beim Chardonnay Honigmelone und getrocknete Tomaten. Neben dem genussvollen praktischen Teil gibt es auch einen interessanten theoretischen. Also welche Weinarten es gibt, wie Wein bereitet wird, warum ein Drehverschluss mindestens genauso gut ist wie Korken usw. Ach ja, und da ist dann noch der Abgang. Für ihn ein Gespür zu entwickeln, das liegt Bernhard Meßmer am Herzen. Je länger er ist, desto besser der Wein. Ich probiere
einen südafrikanischen Syrah, ein wahrer Brummer mit marmeladigem Aroma und mit satten 15 % Alkohol. Ich zähle über 10 Sekunden. Oh, là, là, ich habe in dem roten Syrah wohl einen neuen Freund gefunden. Fazit: Was bleibt? Nach vier Testrunden ist man irgendwie ganz angenehm benebelt. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass meine Sinneseindrücke in Sachen Wein mit dem Ritt durch zig Aromen deutlich geschärft sind. Zum Abschluss des besonderen Abends habe ich im Shop noch eine Flasche Pfälzer Riesling und einen trockenen Syrah gekauft – und mich für das nächste Seminar angemeldet. Martin Vogelsang