Der erste Job ist selten fürs Leben, denn oft kommt alles ganz anders, als man denkt. So auch bei Bernhard Meßmer: Als Industriekaufmann startete er seine Karriere, heute ist er „Veranstalter besonderer Weinerlebnisse“. Wir besuchten ihn in seinem Münchener Weinladen. Ein Porträt von Anne Thesing „Ein Wein muss vor allem gut riechen. Er sollte ein vielfältiges Aromen-Bouquet haben, eine Mischung aus Früchten und etwas Holzigem. Nach dem ersten Schluck muss ein langer und angenehmer Geschmack auf der Zunge zurückbleiben. Das macht für mich einen guten Wein aus.“ Für unser Gespräch rückt Bernhard Meßmer, Geschäftsinhaber von „einfach genießen“, einen kleinen Tisch mit weißer Tischdecke in die Mitte des Weinladens, legt seinen dunklen Tweedmantel ab und setzt sich. Umgeben von Weinregalen, von alten und jungen, trockenen und lieblichen, teuren und günstigeren Weinen, lässt es sich am besten über seinen beruflichen Werdegang sprechen. Denn die aktuelle Station seines Werdegangs ist genau hier, im „Weinfassl’“ – einem kleinen Laden in Münchens ältestem Stadtviertel Lehel. Bloß kein Wein Zwischen Weinreben und –bergen ist Bernhard Meßmer aufgewachsen: auf dem Weingut seiner Eltern in der Pfalz. Heute ist Wein sein Beruf, obwohl ihm das Thema lange Zeit widerstrebte. „Mit Wein wollte ich nach der Schule erst einmal nichts zu tun haben. Ich wollte alles ganz anders machen als meine Eltern.“ Also verließ er sein kleines 900-Einwohner-Dorf, trank lieber Bier als Wein und machte in Landau bei Mercedes-Benz eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Das Wein-Team Nachdenklich rückt der gebürtige Landauer die weiße Tischdecke zurecht, verschränkt die Arme, lehnt sich zurück und lässt den Blick durch den Laden schweifen. Von bayerisch-derber Atmosphäre eines „Weinfassl’“ ist hier nichts zu spüren. Die Kleidung des 32-Jährigen – Strickjacke, Hemd und Stoffhose – ist sportlich-modern, sein Dialekt dezent und leise. Ganz anders dagegen der Aufrtitt seines Kooperationspartners Hermann Diers, Besitzer des gemütlichen Weinlandens. Bevor sich der bärtige Mann um die 50 geräuschvoll in den Feierabend verabschiedet, wechselt er noch rasch unsere Tischdecke aus. „Ihr könnt’s auch a Wein trinken, von ihm oder von mir, das ist wurscht“, lächelt er väterlich und verschwindet. Und damit wird es wieder leiser im Weinfassl’. So gegensätzlich die beiden Kollegen auch wirken, sie sind ein gutes Team. „Hermann Diers habe ich auf der Suche nach einem Weinlokal kennen gelernt“, erklärt Bernhard Meßmer. „Das passte einfach zwischen uns.“ Also mietete er hier eine kleine Ecke für seine deutschen und südafrikanischen Weine an und kann das Kellergewölbe des Ladens für seine Seminare nutzen. Spaß am Wein Heute ist unten im Keller alles ruhig und finster. Die Steinwände strahlen eine leichte Kälte aus. Stühle und Tische sind mit roten Tüchern bedeckt und man kann nur erahnen, wie Seminarteilnehmer hier kosten, lernen, plaudern und lachen. Und wie Bernhard Meßmer sie Wein als etwas ganz Besonderes entdecken lässt. Denn seine Arbeit beschränkt sich nicht auf den Vertrieb der paar Flaschen im Laden. Davon kann niemand leben. Sein Projekt „einfach genießen“ ist sehr viel komplexer. Dazu zählen neben dem Vertrieb an Privatpersonen, den Weinseminaren und Verkostungen private und geschäftliche Feiern und Events in dem historischen Gewölbekeller, Kochkurse, Catering, Präsentservice, die Pacht von Weinstöcken und die Vermittlung von Weinreisen direkt zum Winzer. „Ich versuche das Weinerlebnis mit zu verkaufen – einfach den Spaß an der Sache“, erklärt er mit ruhigen Gesten sein Geschäftsmodell. Erfolg, da ist er sicher, kann er nur haben, wenn er es anders macht als andere. „Viele Weinhändler sitzen einfach nur in ihrem Laden und warten, bis der Kunde kommt. Aber das reicht nicht“, erklärt er und spricht mit leuchtenden Augen von zielgerichteten Angeboten, Customer Relationship Management und „ordentlicher“ Software. Das Leben vor den Reben Bis die erste Flasche Wein über seinen Ladentisch ging, hat es einige Jobversuche gebraucht. Angefangen beim Industriekaufmann. Was wäre wohl aus dem Weinkenner geworden, wäre er bei seinem ersten Job geblieben? Würde er dann jetzt seine Abende mit Frau und Kindern im Eigenheim vor dem Fernseher verbringen – so wie seine damaligen Kollegen? „Nein, die Vorstellung fand ich damals erschreckend. Ich war noch sehr jung und hatte das Gefühl, da müsste noch was kommen. Diese berühmte wilde Zeit eben“, schmunzelt er. Also ging er für das BWL-Studium nach Berlin, tobte sich aus und lernte viel über sein Steckenpferd, das Marketing. Einen konkreten Berufswunsch hatte er damals noch nicht. Dann kamen die ersten Jobs nach dem Studium. Anspruchsvoll waren sie, aber nicht von langer Dauer. Da war zunächst die Arbeit in einer Nürnberger Internetfirma, zu den Boomzeiten der New Economy. „Das war interessant und spannend, aber mein Leben lang wollte ich das auch nicht machen.“ Als nach eineinhalb Jahren eine neue Niederlassung in Berlin eröffnet wurde, ging er mit, aber schon ebbte der Boom wieder ab. Mitarbeiter wurden entlassen, nach einem halben Jahr ging auch Meßmer. Nächste Station: Assistent der Geschäftsführung im Süddeutschen Verlag. Zwei Jahre blieb er dort, dann rollte die nächste Entlassungswelle und ein neuer Job musste her. Hochs und Tiefs Den Traumjob hatte er bis dahin noch nicht gefunden. „Aber ich bereue keinen meiner Schritte“, betont er. „Sicher ist nicht alles ideal gelaufen, ab und zu bin ich auch angeeckt, aber ich habe viel gelernt. Auch wie man etwas nicht macht“, lacht er und verweist auf sein halbes Jahr in Berlin. Dass es damals mit dem Unternehmen den Bach runterging, kratzt noch immer an seinem Ego. Auch wenn er es erst nach sehr langem und überlegtem Zögern zugibt: „Dass Berlin nicht geklappt hat, war für mich eine Niederlage. Ich bin mit großen Zielen dahin und habe es nicht geschafft.“ Für jemanden, der sich selbst als hartnäckig und ungeduldig bezeichnet, war das keine leichte Zeit. „Aber immerhin habe ich daraus sehr viel Lebens- und Berufserfahrung gezogen“, und schnell verwandelt sich sein nachdenklicher Blick wieder in ein offenes Lachen. Widmen wir uns also lieber wieder den erfreulicheren Dingen – der Gegenwart. Mit der ist Bernhard Meßmer rundum zufrieden. „Ich hatte mir schon immer gewünscht, mich irgendwann selbstständig zu machen und für mich selbst die komplette Verantwortung zu übernehmen. Jetzt habe ich es endlich geschafft.“ Weg zum Wein Bei der Entscheidung geholfen hat ihm auch ein Seminar bei der Karriereberaterin Madeleine Leitner. Nach seiner Entlassung beim Süddeutschen Verlag hing der Marketing- und Controllingexperte in der Luft, wusste nicht, wie es beruflich weitergehen sollte. „Das Seminar richtete sich an Leute, die im Umbruch waren und einen neuen Weg einschlagen wollten.“ Madeleine Leitner gab ihm Denkanstöße: Woran habe ich Spaß? Worin bin ich erfolgreich? Welche Themen liegen mir? Was hat mich schon immer fasziniert?“ Das Ergebnis seiner Überlegungen war die Selbstständigkeit. Fehlte nur noch eine zündende Geschäftsidee – und zur Begeisterung der Eltern überwand er seine frühere Abneigung gegen ein Thema, das ihm mehr liegt als alles andere. „Lebens- und Genussmittel haben mich schon immer interessiert, und etwas Handgemachtes sollte es sein. Dann habe ich mir überlegt: Was kann ich? Was geht in diese Richtung? Und was lag da näher als das Thema Wein?“, rekonstruiert er seine Entscheidungsfindung. Weingenüsse Danach ging alles ganz schnell. Er gründete das Unternehmen „einfach genießen“, nutzte private Kontakte und das Netzwerk seiner Eltern, mietete den Laden an, tat sich für seine Seminare mit unterschiedlichen Partnern zusammen. Ob das jetzt der Traumjob, der Job fürs Leben ist? Wieder lässt er sich Zeit für seine Antwort, fährt durch seine kurzen, dunklen Haare, überlegt. „Im Moment bin ich voll und ganz dabei und habe noch sehr viele Ideen. Wie das in ein paar Jahren aussieht, kann ich momentan noch nicht sagen. Ich bin einfach mal gespannt, was kommt“, sagt er und leert genussvoll sein Glas sprudelndes Wasser. „Das darf man kaum sagen, aber privat trinke ich jetzt sehr viel weniger Wein als vorher. Das liegt auch daran, dass ich gerne in Gesellschaft Wein trinke, für ein gemeinsames Essen, zum Beispiel mit meiner Freundin, aber nur selten Zeit ist.“ Und das, obwohl er nicht nur Weinkenner, sondern auch Weingenießer ist. „Bei Geflügel-, Kalbs- oder Schweinefleisch darf kein Wein fehlen. Bei Pasta eigentlich auch nicht. Und auch zu Salaten gibt es Weine, die wunderbar passen.“ Auf eine bestimmte Sorte möchte sich der Hobbykoch nicht beschränken. „Im Sommer trinke ich am liebsten einen ganz einfachen Wein, mit dem man eine Schorle machen kann. Zum Lamm braucht man einen schweren, reifen Rotwein, zwischendurch trinke ich auch gerne mal einen Riesling.“ Wenn er sich nicht gerade mit Weingenüssen beschäftigt, bemüht er sich um sportlichen Ausgleich – und genießt die Freiheiten der Selbstständigkeit. „Es ist schon toll, wenn man seinen Tag selbst einteilen kann. Ich laufe zum Beispiel sehr gerne, und als Selbstständiger kann ich das auch mittags in der Sonne machen.“ Wein muss es sein Im Münchener Lehel ist die Sonne mittlerweile hinter den Altbauten verschwunden, ab und zu rauscht eine Tram vorbei. Eines Tages wird Bernhard Meßmer vielleicht seinen eigenen Weinladen aufmachen, eigene Mitarbeiter einstellen, expandieren. Große Pläne, von denen er früher nie zu träumen gewagt hätte. Doch das verschmitzte Lachen, die strahlenden Augen und der stolze Blick auf seine Weinregale verraten, dass dieser Job auf Umwegen weit mehr zu ihm passt als der des Industriekaufmanns, des Assistenten der Geschäftsführung oder des Controllers. Bernhard Meßmer macht Wein zu einem Erlebnis – nicht nur für seine Kunden, auch für sich selbst.